Nihilismus im Paradies
Überall liegen sie herum, auf
Strassen, in den Wiesen, auf Wanderwegen, in den Städten, man hat sich an sie
gewöhnt, an die Kobras.
Ich umkurve sie elegant auf dem Weg zu
meinem Lieblingsplatz oben auf der Krete des Berges. Leicht bekleidet hocke ich
auf meinem Motorrad und im Beiwagen lässt sich Theo den Wind um die Ohren
sausen, mein Hund liebt es: Die Geschwindigkeit, die verändernden Landschaften,
das Abenteuer und am Schluss wie immer seit seiner Geburt, den Spaziergang
durch immer neue Gebiete.
Der Schmerz wird nicht empfunden, der
Biss der Kobra ignoriert, die steile Passstrasse raufgeblocht bis zum Apfelbaum
mit Übersicht über das Ganze.
Da sitzen wir, Theo und ich, und
bestaunen das weite Tal mit Fluss unter uns, die tausend Arten von Grün in der
Ebene, die Alpenkette dahinter mit dem ersten Schnee auf den höchsten Gipfeln,
darüber ein zirrendes Blau der Ewigkeit und sie kommt, eine sanfte Müdigkeit
die sich in mich senkt.
Schon immer war mein letzter Wunsch,
dass mein Hund und ich zeitgleich verrecken. Dann würden wir, Pfote in der
Hand, dem Paradiestor entgegenschlendern und beim Erblicken der ewigen
Schönheit der Welt pfeife ich und alle meine verstorbenen Lieblingshunde und
die Katzen mit Charakter meines Lebens erscheinen am Horizont und springen auf
mich zu.
Dieses Vorgefühl im Glück in der
Erwartung des Wiedersehens soll es sein.
Mein Gott hat die Pflicht dieses
Gefühl auf ewig in mein Gehirn einzupflanzen über die Milliarden von Jahren bis
zum Ende des Universums. Dies soll es sein, mein Paradies.
Diese Pflicht hat mein Gott, er weiss
es.
Wir wissen es noch nicht:
Vor uns liegt das Absterben unserer
Rasse, die Erde ist keine Heimat mehr, wir haben sie mit Masse und Blödheit an
ihr Ende gebracht.
Man weiss es inzwischen:
Zuerst der totalen Kollaps aller
Finanzen, dann bricht die globale Weltwirtschaft ein, dann verblöden die
Massen, dann massakrieren die Opfer ihre Täter, dann kommt das ökologische
Desaster und dann stirbt die Menschheit in kurzer Zeit und dann gehen alle ins Paradies.
Nun träume ich seit meiner Kindheit
denselben Traum, dass ich bei meinem Tod das Allwissen und die Allmacht
erlangen werde. Also sterbe ich jetzt wegen der Kobra und pfeife meinen Gott zu
mir und erschlage den Kerl.
Und nun kann ich entscheiden, was
immer ich will.
Ich entscheide, dass es das Universum
und die Menschheit nie gegeben haben wird, auch nicht das Paradies oder einen
Gott, und keine Kriege, keine Folter, kein Wachstum der Massen und kein
Wahnsinn einer Welt der technologischen Wirtschaft und der Macht des Geldes und
einen Planeten der Selbstzerstörung.
Nichts wird gewesen sein - ein ewiges
Nichtsein, der totale Nihilismus.
René Delavy - Berlin and Bournemouth
written in October 2016