Kritik an René Descartes

René Descartes
(31.3.1596 bis 11.2.1650)

René Descartes ist eine ganz besondere Knacknuss. Schliesslich war er ein mathematisches Genie und einer der Menschen, von denen ich denke, dass sie mir in der reinen Geisteskraft meilenweit überlegen waren. Ich könnte nichts von dem, was dieser Descartes konnte, diese Intelligenzbestie. Wenn er sich hineinstürzte in ein Problem, dann erkannte er alle Konturen des Gesuchten, ging an die Grenzen des Denkens seiner Vorgänger und überflügelte sie mit Instinkt und Geisteskraft in eleganter und nonchalanter Weise.

Zum Glück habe ich gut geschlafen, diese Nacht. Immer des Abends vor dem Zu-Bett-Gehen verdamme ich mich für den eigenen Mut, diese Kolumne, diesen Versuch von Relativierung der Genies dieser Erde, der besten Elemente der Menschheit zu verfassen, mit Blick auf die Realität, die eben auch mit Hilfe dieser universellen Kurzdenker und Machbarkeitsfetischisten geworden ist, was sie heute ist, als Resultat von deren vermeintlicher Genialität. Spät erst sehen wir die Wahrheit, das Resultat von Epoche machendem Menschendenken, das heute ganz langsam erkennbar wird.

Descartes war ein Fanatiker der Perfektion: Er dachte, dass etwas, das nicht perfekt war, niemals etwas generieren könnte, das perfekter sein würde. Er war also ein Wegbereiter der absoluten Perfektion bei allem, was wir tun. Seine Idee: Tun wir etwas perfekt und steigern es zu immer höherer Perfektion und ...  wir haben ein Flugzeug, das mit 2000 km/h fliegt, 3000 Leute transportiert, mehr Kerosin verpufft als jedes Flugzeug zuvor, dann mit einem anderen Megaflieger über dem Meer zusammenstösst, wir haben 6000 Tote und kratzen dann tausend Meter unter der Meeresoberfläche die Reste der Kadaver und Flugzeugteile zusammen, machen ein irres Zusammensetzspielchen von Metallteilen, führen genetische Tests durch, um zu wissen, ob die richtigen Toten geflogen sind und ermitteln den Grund des Zusammenstosses und die Art des Sterbens.

Grossartig. Machbarkeit in Reinkultur. Dies ist Perfektion, wie sie ein René Descartes heute noch verstehen würde, wir sind von den Descartes dieser Welt, vom Wahnsinn, umzingelt, denn nun werden selbstverständlich Flugzeuge gebaut, die noch schneller sind, noch mehr Passagiere transportieren, die Alarmsysteme werden nun noch mehr perfektioniert und es ist ab sofort "unmöglich", dass ein solches Debakel auch nur noch einmal geschieht - und am Ende haben wir alle kein Kerosin, keine Passagiere, kein Metall für Flugzeuge, keine Hirne mit Bildung und keine Descartes mehr, die sich weise mit dem Blödsinn der Perfektionierung von Pragmatismus herumschlagen können. Warum hat dieser Descartes seine hehren Gedanken nie zu Ende geführt? War er dumm? Nein, er war ganz einfach phantasielos, dieser Phantastischste unter den Genies der Menschheit. Ein grösserer Illusionist war vielleicht noch Einstein. Doch das geschieht lange nach Descartes, zu einer Zeit, da man das Denken in nutzbaren Dimensionen vollends den Orkus runter geschmissen hat, kurz: Von einem universellen Denker, von einem Universalgenie hätte man schon im Mittelalter mehr Einsicht verlangen sollen, statt später überall Statuen aufzustellen für die Sargdeckel-Erzeuger aller kommenden Generationen, deren höchstes Ziel es ist, die Restzeit eines Fehldenkens irgendwie noch geniessen zu können.

Auch ich könnte mich in einem neuen Buch über die Einheit von Geist und Körper auslassen, bei weitem nicht so tiefgehend wie Descartes, doch meine Schlussfolgerungen wären logisch und den Menschen dienlich. Es ist völlig klar, dass der Geist diktiert und der Körper gehorcht und zwar in einem viel komplexeren Zusammenhang, als man es bei Descartes nachlesen kann: Der Geist lechzt nach schönen Kleidern und der Körper übernimmt das Diktat, der Geist erfindet ein Flugzeug und der Körper sitzt drin, der Geist erfindet eine Atombombe und der Körper zerschmilzt, der Geist erfindet einen Gott und die Körper der Andersgläubigen werden zerhackt, der Geist erfindet Gründe für Kriege und die Körper der Feinde und der eigenen Leute verrecken auf den Feldern der Ehre. Auch beim Einzelmenschen, in sich selbst, diktiert der Geist: Jetzt mache ich einen Schritt - und der Körper gehorcht. Natürlich könnte der Körper über eine Klippe ins Leere fallen, unbeabsichtigt, also nicht vom Geist diktiert, es ist der Geist und nicht der Körper, der denkt, jetzt bin ich in wenigen Sekunden mausetot. Man merkt: Die Einheit von Geist und Körper zu hinterfragen ist ein Geistesspiel von besonderer Anspruchslosigkeit, denn es beweist alles und nichts, trotzdem haben sich an diesem Thema Horden von Kenntniserwerbern satt geschrieben. Besonders Descartes hat sich am Offensichtlichen der Einheit von Geist und Körper satt geschrieben. Und welchen reellen Profit haben wir daraus gewonnen? Etwa jenen, der heute überall grassiert: Wie verschönere ich mein Äusseres, welche Designerklamotten muss ich am Leibe haben, damit ich respektiert werde, welche Mode verschönert meinen Körper, welcher Chirurg verpasst mir ein neues Gesicht oder mindestens einen grösseren Penis? Der Körper diktiert heute dem Geist immer mehr seine Bedürfnisse und vor allem die Frauen machen sich diesem Diktat untertan, ohne sich zu schämen, weil der Geist dabei flöten geht. Priorität des Körpers über den Geist? Blödsinn. Der Körper ist nur die Projektionsfläche des Geistes. Wer mir auch nur einen einzigen Nutzen aus diesen Theorien von Einheit zwischen Geist und Körper nennen kann, "Nutzen" allerdings in einem höheren Sinne der Logik verstanden, soll zum Genie erklärt werden. Ob wir solche Theorien haben oder nicht: Die Erde wird sich weiter drehen und die Umwelt wird weiterhin von uns zerstört werden, bis der Körper dermassen dürstet und hungert, dass der Geist endlich auch begreift.

Wir sollten den Sinn von "Nutzen" endlich neu definieren: Was auch immer dazu herhalten muss, um den Nutzen von Konsum, Verbrauch, Geld, Wachstum, Fortschritt, Wissen, Politik, Wirtschaft usw. zu beweisen, es muss von uns im Rahmen der Machbarkeit innerhalb der Evolution des Ganzen endlich durchdacht sein. Sonst ist solches Denken im besten Falle nutzlos, im schlimmsten Falle selbstzerstörend. Je mehr solche "Nutz"-Gedanken erzeugt worden sind, von Descartes und anderen Prinzen des Niedergangs, umso mehr beschleunigte sich der Niedergang in dem Ausmass, wie die Keulen zur Selbstvernichtung immer gigantischer geworden sind, eben, im Laufe der Evolution, auf der Grundlage dieser um die Menschen so lieblich "besorgten Genies". Wer will unter diesen Umständen noch als Genie gelten?

Schliesslich vergreift sich Descartes sogar am All und an Gott. Er schwärmt von einer unendlich hohen Macht der absoluten Perfektion. Was lernt man am Schluss dabei? Ein Denken, das nicht erkennt, dass diese absolute Perfektion, so sie denn existiert, absolut wertlos ist, wenn sie nicht dazu führen kann, dass auf Gottes Erden weniger gemordet, Tiere missbraucht, Pflanzen vernichtet, Meere vergiftet und leer gefischt, Giftmaschinen betrieben, Kriege geführt, Menschen aus niedrigsten Gründen gefoltert und Landschaften verbrannt, Geist und Zukunft der Menschheit vernichtet werden, ein solches Denken ist wertlos, ist ein Verbrechen an allen Nachgeborenen. Und noch nie war die Geisteskatastrophe grösser als in diesem Jahr 2004.

Man betrachte ein unschuldiges Baby und wisse, dass es zu einem menschlichen Monster mutiert werden wird, nicht von Gott, sondern von uns allen, und man sage mir noch einmal, der Nutzen, der von Menschen wie Descartes ausgehe, sei gigantisch. Gigantisch ist nur die Einsichtslosigkeit dieser "Genies" und die Anmassung, mit welcher Sicherheit sie von All und Gott reden. Ich tue dies auch, aber ohne Sicherheit, ohne menschliche Anmassung, ganz im Gegenteil. Ich werde mich dem All, der Ewigkeit und der Unendlichkeit, die Ausfluss eines real gedachten Gottes sind, immer unterwerfen müssen, vor und nach meinem Tod.

Ich gehe durch ein riesiges Kompendium von Meditationen von Descartes und zu allem und jedem könnte ich Texte verfassen wie die vorhergehenden. Alles, was er sagt, ist zwar richtig, doch ein richtiges Sagen mit falschen denkerischen Voraussetzungen im Grundsätzlichen kann ein Verbrechen an der Menschheit sein. Descartes' Denken und Schreiben war ein Verbrechen an der Menschheit. Es ist nicht leicht zu erkennen, doch jeder Denker, der die Machbarkeitstheorien förderte, in einer Welt der naturgegebenen Beschränkungen, muss als Verbrecher taxiert werden. Natürlich ist diese Qualität bei Folterern und Kriegstreibern viel leichter ersichtlich, doch die Auswirkungen von Schöndenkern des technologisch-wissenschaftlichen Wahns, sind für die Menschen der Nachzeit viel, viel folgenschwerer. Die krude Gewalt von Krieg, Folter, Hexenverbrennungen, Napalmbombardierungen ist zwar unschön, doch im Endeffekt ein Fürzchen im Vergleich zur Verbreitung von hehren Theorien und Gedanken, die uns am Ende nur dazu verführt haben werden, in die Irre eines Daseins in zukünftigem Schrecken abzugleiten und uns dabei noch sehr intelligent vorzukommen.