Es
war einer jener Sommernächte, wo feinsinnige Menschen denken könnten, die Zeit
stehe still und wir erlebten einen Moment der Ewigkeit.
Hoch
über einem See im Piemont besass meine Freundin ein Rustico, wir hatten gut
gegessen und die Sonne war schon ein Weilchen untergegangen und jetzt
"brach die Nacht herein". Ja, genau, über zwei lange Stunden brach
die Nacht herein und es wurde ganz langsam immer dunkler vom Osten her.
Wir
hatten so ein Viereckzelt wie es auf allen Gartenpartys stand für Gäste und
davor sassen wir an einem Holztisch, meine Freundin, ihr Bruder auf einem
Besuch und ich. Wir plauderten ein wenig und erwarteten das Ende eines stillen
Tages. Schliesslich verschwand der Bruder, nennen wir ihn Tom, in unserem Zelt
in dem wir schon manche Stunde genossen, vor allem bei Regen wo man die Tropfen
zählen konnte, und dann tönten jetzt elegische Klänge einer endlosen Improvisation
auf einem Akkordeon leise gespielt, wie aus der Ferne. Tom hasste es gesehen zu
werden während seines Spiels, obschon er ja gewohnt war in einer Band
mitzuwirken an der Gitarre, am Keyboard oder als Leadsänger.
Während
meine Freundin zuhörte, Getränke beschaffte und herumwuselte, lag ich träge in
einen Lehnstuhl und philosophierte an der Weltgeschichte herum, als mir
plötzlich der Gedanke kam, dass Tom wohl nicht mehr lange leben würde. Es war
eine jener Zukunftserinnerungen, die mir gelegentlich bis heute durch den Kopf
streiften, so als ob ich schon einmal mein ganzes Leben gelebt hätte - inklusive
die Erfahrung meines eigenen Todes. Doch von Tom und seinem Tod etwas mehr -
später.
Erasmus
und "Das Lob der Torheit"
Ich
hatte mir sehr viel versprochen vom neuen Buch "Das Lob der Torheit"
von Erasmus von Rotterdam. Zuerst liess ich mich voll auf seinen Sound und
seine Gedankenwelt ein, wurde aber immer ärgerlicher. Klar hatte er das Wissen
um die Zeit von 1500 und eine Weisheit der Philosophen seiner Epoche. Trotzdem
begriff ich seine Denkweise keineswegs:
Erasmus
auf seiner Reise durch die Schweiz wollte die Denkweisen der Götter, der
Denker, der Weiber und Männer des Alltags und jener der Machtträger und ihrer
Narren durchdenken und am Beispiel des offensichtlichen Vorteils von etwas
Narrenfreiheit und Torheit im Denken, im Leben und im Tod erklären. Und so
erwartete ich einmal mehr etwas Aufklärung, was "das Sein" an sich sei
nach Meinung eines Denkers, und wurde wie bei allen Philosophen wieder einmal
enttäuscht.
Schrieb
er in der Rolle als Redner und Tor seine eigene Meinung darüber, wie sich
Menschen benehmen, wie sie leben und wie sie sterben sollten - oder meinte er
stets das Gegenteil des Gegenteils als Tor des Geschehens?
Erasmus
und das Leben und der Tod
Mir
schien, dass er die Lebensqualität jedes Menschen darin erkannte, dass die genannten
Personen die Torheit missbrauchen
sollten, um naiv zu bleiben und nicht zu viel zu denken. Denn wer denke, mache
sich unbeliebt, halte das Leben kaum aus, sei früh verbraucht statt fröhlich in
den Tag hinein zu leben und zu geniessen, um überhaupt am Leben zu sein und am
fröhlichen Gesellschaftsleben teilhaben zu können.
Wenn
man seine Gedankengänge genau verfolgt, egal ob er seine eigene Meinung vertrat
oder deren Gegenteil, so muss sich kein Mensch wundern, dass wir heute eine
absterbende Massengesellschaft sind, die immer noch an Wachstum und Fortschritt
glaubt, obschon heute weit über 99 Prozente der Völker im Jahr 2016 verblödet
sind, indem sie die reale Situation des Breakdowns im Heute niemals begreifen
können.
Doch
graben wir etwas tiefer:
Geht
es bei der Existenz um das Leben der Menschen in allen Schichten der Gesellschaft,
aller Nationen, aller Epochen nur darum, etwas Lebensqualität und Freude und
Spass am Leben zu haben, oder geht es darum, dass diese Erde existiert, wir ein
Teil der Tiere sind und der Natur, unsere Rolle darin gezwungen sind zu spielen,
meist in aller Passivität - um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden?
Untersuchen
wir die Sache in den folgenden Abschnitten.
Das
Leben und der Tod nach René Delavy
Alles
was ich tue, alles was ich sage, alles was ich je schrieb über die Existenz
unserer Spezies, geschah unter folgenden Umständen:
-
Mir war klar, dass ich in einem ganz kleinen Zeitfenster in einer Epoche der
Ewigkeit auf einen unglaublich engen Raum im All, also auf dem Planet Erde, das
Privileg hatte, einige Jahrzehnte mitzuerleben und nach dieser Zeit von Leben
zu sterben und auf ewig gewesen zu sein. Es war also wichtig zu begreifen, wo
und was ich war, die Mitmenschen, der Alltag, die Tiere, die Landschaften und
Meere und die Zeit an sich.
-
Ob es eine Inkarnation gibt ist egal, denn jedes Leben ist für sich selbst
abgeschlossen und man hat keine Ahnung, ob man als Löwe, Schlange oder zu Tode
gefolterter "Ketzer" oder als Hexe verbrannte Frau je wieder im
Dasein leben würde und in welcher Galaxie.
-
Man hat nur seine Zeit der Existenz zu bedenken, unter Beachtung der
Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft und zu versuchen zu erkennen, wie
das Leben aller Menschen und Tiere und der Natur stattfinden kann, ohne alle
genannten Personen in den Büchern über ihre Existenzgrenzen zu plagen und vom
Sein des Lebens überhaupt nichts zu begreifen.
-
Schliesslich stirbt man eines Tages, meist ohne dies gewünscht zu haben und ist
auf ewig weg und wird vergessen mit der Zeit. Wer diesen Fakt nicht erträgt und
sich mit seiner Existenz abfinden kann, hat wie die meisten Menschen unbewusst
eine Hölle auf Erden erlebt, weil er oder sie nie etwas begriffen hatten.
Wer
wie Erasmus von Rotterdam das Leben als ein leichtfertiges Spiel erfasst, wo
wir allein den Behaviourism und die eigene Lebensqualität im Auge haben, ist es
sinnlos gewesen, wenn wir ein Leben hatten - und dies genau ist die Situation
von weit über 99 Prozent der heute lebenden Menschen auf dem Planet Erde.
Das
Leben und der Tod des Allgemeinbürgers
Und
hier landen wir wieder für den Vergleich mit dem Leben des Allgemeinbürgers bei
Tom. Er würde also nicht mehr lange leben können, mit seinem elegischen Spiel hinter
den Zeltfolien, beim "Einbrechen der Nacht" in einem seltsamen Land,
wo im Moment ein wirtschaftlicher Einbruch geschieht wie in allen Nationen
unserer Zeit.
Ich
hatte schon viele Tode von Menschen erlebt: Der tragischste war der frühe
Krebstod meines Bruders bevor er 20 Jahre alt geworden war - lange ist's her.
Dann meine Eltern, viele Freunde, Kunden, berühmte VIPs und Künstler und
Menschen, mit welchen man beim Tod ein Riesengeschiss machen sollte.
Nun
denn, als wir einige Zeit nach diesem Abend im Piemont erfuhren, dass Tom zur
Krebsbehandlung in ein Spital musste zur Operation, war es für mich wie ein "Deja-vu"
- ich wusste es eigentlich schon. Dann suchte man eine Person die Tom zur
Vorbereitung in ein Heim bringen würde zur Rekonvaleszenz nach der Operation
und ich erklärte mich damit einverstanden. Im Rollstuhl wurde er dahergekarrt
und auf den Vordersitz meines Autos gehievt. Aber er konnte eigentlich noch
gehen, mit seinem Kästchen welches ihm Medikamente zuführte.
Ich
wusste, dass wir ein Sterbehotel besuchten, welches früher oft wegen der Masse
an Drogensüchtigen im Needle Park für deren Endstadium durch die Presse
geisterte. Tom hatte davon keine Ahnung. Ich meldete uns an im Pflegeheim und
forderte Tom auf, das Auto zu verlassen und die kleine Treppe hochzusteigen zu
einem Rollstuhl, der für ihn präpariert worden war. Und schon lag er samt
Kasten der Länge nach auf dem Boden und ich und ein Passant hoben ihn auf und
ich entschuldigte mich für meine blödsinnige Nachlässigkeit.
"Ich
hätte nicht kommen sollen, das war ein Blödsinn..." meinte Tom mit
gebrochener Stimme und wollte wieder gehen. Doch wir konnten ihn überreden zu
bleiben und das Haus zu besichtigen. Dann ging ich mein Auto umparken und als
ich zurückkam, sah ich gerade noch, wie Tom in seinem Wägelchen mit verklärtem
Gesicht verschwand in einem Seitengang. Ein Weilchen konnte ich ihn und die
Leiterin des Heims nicht finden, doch als ich ihn wieder sah, hatte sich sein
Blick verfinstert. Man hatte ihm mitgeteilt, dass er nicht jederzeit auf der
Gitarre spielen durfte und auch sein eigenes Bett konnte er nicht mitnehmen.
Tom konnte diese Fakten kaum fassen, ganz kurz vor seinem Tod dachte er doch,
er werde noch ewig leben in diesem Heim.
Auf
der Fahrt zurück zum Spital war er ziemlich müde und wortkarg und ich versuchte
ihn etwas zu erheitern, aber er war abgesunken wie alle gewöhnlichen Menschen
in seine Fantasiewelt des Lebens ohne Ende und ich war froh, ihn wieder dem
Spitalpersonal übergeben zu können.
Einige
Wochen später im Rustico kam ein Telefon und nach einem Weilchen begann meine
Freundin zu weinen und flüsterte: "Tom ist tot". Wie immer war es
nicht eigentliche Trauer, sondern der Schock mit der Wirklichkeit, die sie
erschütterte. Die wirkliche Trauer wird ohnehin gespielt, oder sie kommt wie
bei mir bei viel späteren Erinnerungen an das Leben der Person und einzelne
Geschehnisse, die auf ewig im Gedächtnis haften bleiben.
Fazit
Es
ist ein Wunder, das Leben und der Tod eines jeden Menschen, eines jeden Tieres
und eines jeden Baumes. Wir realisieren weder die Existenz des Seins noch den
Sinn des Todes.
Wir
begreifen nie was da sind:
-
Gott, die Ewigkeit der Zeit, die Unendlichkeit der Raumes, das Leben und der
Tod, der Sinn des Daseins, wie ein Hirn funktioniert und was es ist, die ganze
Biologie. Und das Wesen des Alls an sich ist eine Blackbox, in die wir niemals
eindringen werden.
Umso
nachlässiger und blödsinniger erleben wir still und blind den Alltag in unserer
ganz kurzen Zeit einer Lebensepoche und nehmen eigentlich nichts wahr, weder den
Sinn des Ganzen, noch die wahre Bedeutung von einzelnen Personen, den Wahnsinn
von Politik, Massenwirtschaft, Verschleuderung aller Ressourcen, Holocaust an
den Tieren, Kriege und Terror und Religionsfanatik, die Blödsinnigkeit von
Wachstum und Fortschritt und dem Fakt, dass die heutige Zeit der
Schuldenmacherei in eine technologische Zeit des Untergangs mündete.
Bis
zum 21. Jahrhundert werden es Erasmus von Rotterdam und seinesgleichen fertig
gebracht haben, dass die Dummheit oder die Torheit der Massen, welchen wir eine
gewisse Lebensqualität und "Leichtigkeit des Seins" im Sinne von
Erasmus angedeihen lassen sollten, es doch leisteten, die gesamte Welt des
Seins auf einem Planeten zu vernichten, dabei wie blöde zu tanzen, vögeln,
schwatzen, singen und es lustig zu haben im Sinne der Philosophen -- und trotz
aller Weisheit der Eliten, die nur ans Geld denken, niemals zu erkennen, warum
nun ALLE verrecken werden.
René
Delavy - Berlin and Bournemouth
written
in June 2016