Kritik an Michel Foucault

Michel Foucault
(15.10.1926 bis 25.6.1984)

Gestern, 24. Juni 2004, sah ich eine Dokumentation über Michel Foucault auf dem TV-Sender ARTE. Sehr interessant sind seine Gedanken über Gewalt, Wahnsinn, Machtausübung, Geschichte der Strafe, die wandelnde Bedeutung von Gerechtigkeit und schliesslich das Richter-Täter-Opfer-Verhältnis im Laufe der Zeit. Nach dem EM-Spiel Portugal - England war ich allerdings hundemüde und deshalb nicht mehr in der Lage, die Gedankengänge dieses Foucault zu begreifen. Irgendwie fühlte ich, dass ich stets im falschen Film sass und dass dieser Philosoph und Gesellschaftskritiker dieselben Denkfehler machte wie alle anderen auch, doch ich kam nicht dahinter. Als er begann, die Realität der Menschen zu hinterfragen und alles in eine Traumlandschaft verschleiern wollte, begannen meine Sinne verrückt zu spielen und ich musste den Fernseher sofort abschalten, um nicht im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt zu werden. Ich bekam richtig Angst und dachte, dass ich am nächsten Morgen die Sache durchdenken müsste.

Jetzt ist dieser nächste Morgen und ich kann mich mit den Thesen beschäftigen, die Foucault von sich gegeben hat.

Der Wahnsinn des Menschen ist wahrlich ein kurioses Ding. Die so genannt "Normalen" denken immer, dass sie geistig funktionieren würden und versorgen daher die "Verrückten". Dabei ist es so: Wenn die "Normalen" auf höherer Basis denken könnten, würden sie dermassen erschrecken über die Vereinfachung ihres Realitätsempfindens, dass sie auf der Stelle geistig verwirrt würden. Die Wahnsinnigen ahnen in Form eines höheren Denkens, dass sie nicht in einer abschliessend geklärten Realität leben, aber sie schaffen es nicht, die wahre Realität zu erfassen und in dieser Wahnsinnssituation werden sie dann eben wahnsinnig. Foucault hingegen analysiert diese Tatbestände nur, ohne selbst die zwei Arten von Realität erfassen zu können. Er sieht die Fehler im gelebten System keineswegs und die komplexe höhere Realität des Daseins durchschaut er ebenso wenig wie die "Normalen" und die wahnsinnig Gewordenen. Warum schaffe ich diesen geistigen Spagat, ohne wahnsinnig zu werden? Die Sache ist einfach: Im Gegensatz zu Foucault habe ich mich ein Leben lang bemüht, das Wesen der Wirtschaft, der Politik, der Kultur, der Weltsicht als Ganzes zu verstehen, ich habe die Philosophien gelesen und deren Denkfehler durchschaut und ich bin alt geworden, ohne je ganz wahnsinnig zu werden. Irgendeinmal kommt der Augenblick, da man genügend Wissen gesammelt hat, um die beiden Realitäten, also die gelebte Realität der Menschen im Jahr 2004 und die allgemeingültige Realität, zu durchschauen, die weder von den Massen noch von den Philosophen - auch nicht von Foucault - erkannt werden. Ohne es mir bewusst zu sein, sehe ich in jedem Augenblick des Tages die Realität der gelebten Wirklichkeit, wie sie aus den Nachrichten auf mich einprasselt, und vergleiche diese mit dem Bild der Erde, wie es sich aus der Perspektive eines fernen Sternes gestaltet. Mein Blick auf dieses Bild wird geschärft durch das universelle Wissen um die Zusammenhänge von Geschichte, Kultur, Entwicklung, Wirtschaft, Machtverhältnissen, Fehldenken, ökologischer Beschädigung, Konkurssituation von Staaten und so weiter, wodurch die Wesentlichkeiten der Fehlentwicklungen wie in einem Brennglas gebündelt werden.

Dies alles konnte Foucault nicht und deshalb war auch meine Verunsicherung bezüglich seiner Thesen dermassen gewaltig, dass ich sie am Schluss nicht mehr ertragen konnte.

Machtausübung und Gesellschaft: Richtig ist die Analyse von Foucault, dass das System der Machtausübung so funktioniert, dass sie Einzelnen gegeben wird, eher aus Zufall und Gewohnheit in den Hierarchien dieser Menschheit - und dass alle anderen in diesem Machtnetz gefangen bleiben wie die Fliegen im Spinnennetz. Genau so ist es: Die Arbeiter, die Manager, die Wissenschafter arbeiten nach Vorgaben, die sie nie durchschauen werden und sie sind wie Blätter im Wind: Wenn sie der etablierten Macht der Nichtdenker in den Weg geraten oder dem System nicht mehr gewachsen sind, werden sie weggefegt. Dies ist eigentlich banal und wer mehr Freiheit für die Individuen verlangt, hat gar nichts kapiert. Es sind weder die Mechanismen der Macht noch die Machtträger noch die ohnmächtigen  Fliegen im Netz, die dem System schaden oder nutzen könnten. Hier irrt Foucault gewaltig. Das Denksystem selbst ist total im Eimer. Wo der Nutzen der Vernichtung eines Planeten die oberste Maxime eines Systems ist, können alle Analysen eines Foucault fortgeworfen werden. Es ist nicht interessant zu wissen, ob er recht hat oder nicht. Diese Frage ist von unglaublicher Unwichtigkeit. Die richtige Antwort auf solche Fragen ändert am System rein gar nichts. Im Gegenteil: Wenn wir noch effizienter werden in der Profitmaximierung, in der Wellness der Individuen, dann gelingt es noch rascher, die ganze Erde kaputt zu sanieren, indem uns die letzten Reste an Respekt ausgetrieben werden und ihr die letzten Reste an Energie, Ressourcen, sauberem Wasser und atembarer Luft  noch genommen werden, mit der Effizienz einer psychisch rundum zufriedenen Gesellschaft. Foucault war kein Jota intelligenter als die CEO in den Chefetagen und er wusste es nicht. Und so wurde er berühmt, ohne je der Menschheit einen kleinen Nutzen gebracht zu haben. Ich bin dankbar, ich zu sein, eine Berühmtheit diesen Grades ist zum Wegwerfen. Wenn dies Genie ist, dann will ich ewig ein dummer Kerl bleiben.

Gerechtigkeit, Strafe, Richter-Täter-Opfer-Verhältnis: Ich denke schon, dass Foucault die gängigen Denknormen bezüglich der Regierbarkeit von Missetaten weit übertrifft. Er sieht, dass die Richter der verlängerte Arm der Polizei sind und diese wiederum nur die Interessen der Mächtigen vertreten, während die Ohnmächtigen des Systems keine andere Chance bekommen, als zum Beispiel in die Kriminalität oder den Terror abzudriften. Ich sehe diese Problematik genau gleich wie Foucault. Nur: Was geschieht, wenn wir uns zufrieden geben zu wissen, dass die Mächtigen mit ihren Opfern schon immer taten, was sie wollten, dass ihnen dabei die Geheimdienste, die Behörden, die Polizei und die Richter als verlängerte Arme des Kraken dienten? Dies ist klar und einsichtig, auch wenn 99 Prozent der Menschen, aus lauter Denkgewohnheit, diesen Ansatz unserer Realität nicht begreifen wollen und können. Selbst wenn sie begreifen würden, glaube ich nicht, dass sie sagen würden: Ändert die Systeme und wir brauchen keine Machtträger, Politiker, Polizei, Heere, Geheimdienste, Folterer und Justizsysteme mehr. Sie würden es deshalb nicht sagen, weil sie keine Ahnung haben, was anstelle der bestehenden Systeme zur Aufrechterhaltung der "Sicherheit" und "Ordnung" sonst noch kommen könnte. Ich weiss es, ich habe ganze Bücher zu den Alternativen geschrieben, kein Kommunismus, kein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, keine Demokratien der dummen Mehrheiten, nein, ein neues Denken in allen Köpfen, die ultimative Erkenntnis, wie der Mensch ohne Ungerechtigkeiten fundamentaler Art und in Einklang mit der Natur überleben kann, ist die Lösung. Doch hier bin ich in Gefilde vorgedrungen, die um Jahrhunderte zu früh kommen. Derweil wird in den nächsten zwanzig Jahren unser "System", und war das ganze System, nicht nur dasjenige der Justiz, in sich selbst kollabieren und unlösbare Probleme für die Menschheit hinterlassen. Ich werde jedenfalls nicht versuchen, den Totentanz aufzuhalten, denn dann käme ich bei der gigantischen Blödheit dieser vorhandenen Denkwelt definitiv unter die Räder der Herrschenden. Nein, sie sollen verrecken und dann lesen, dass es nie einen Sinn machte, diese Menschen zum Umdenken zu bewegen, ohne sich selbst in Gefahr begeben zu müssen, und gemeint ist nicht intellektuelle Gefahr, sondern Lebensgefahr.

Ich weiss nicht, ob es überhaupt einen Sinn ergibt, diesen Michel Foucault der Oberflächlichkeit des Denkens zu überführen, wo er doch weiter dachte als fast der ganze Rest der Menschheit. Es kann wohl als Grössenwahn meinerseits bezeichnet werden, wenn ich ausgerechnet diesem Denker an den Karren fahre. Nur: Die heute üblichen Zeitgeistdenker mit deren eigenen Waffen, einem dumpfen Gedankenbrei, zu schlagen und zu demütigen, ist keine edle Sache.

Einen toten Hund schlägt man nicht ein zweites Mal intellektuell tot. Diese Menschheit ist in solchem Masse blind und taub, dass man die Denkfehler der Grössten offen legen muss, um das Ganze, das heisst, die gigantischen Irrtümer im Denken dieser Menschen in einem irre gewordenen Zeitalter, aufzudecken. Ob ich dies für die Bühne der Götter tue, damit mir die Zeit auf Erden nicht zu lang werde? Ich weiss es selbst nicht. Ich weiss nur, dass es unglaublich schwierig ist, diese Realität, so wie sie von Gott vorgegeben ist, zu akzeptieren. Er hat so viele Fallstricke ausgelegt, dass wir alle eines Tages daran hängen werden. Also ist hiermit auch meine Ohnmacht erwiesen, auch wenn sie auf einem höheren Zweig baumelt und ich sie erst noch selbst formulieren muss. Dies mag Foucault trösten, mich nicht.


Rohstudie beendet, heute, den 26. Mai 2004, exakt neun Uhr, am Morgen eines sonnigen Tages, mit Blick auf eine herrliche Landschaft am See.