Das Ende? Was sollen wir darunter verstehen, wo es doch kein Ende gibt. Im gekrümmten Raum der Unendlichkeit ist das Ende wohl dort, wo der Beginn ist, ein ewiger Kreislauf von Zeit und Raum. Kaum vorstellbar, wo in diesem Raum ein Gott sein sollte, der alles nach bestem Wissen und Gewissen regelt. Wir schweifen also durch den Raum und suchen das Ende, das Ende von allem Irdischen. Denn auch das Ausserirdische ist irdisch in der Betrachtungsweise jener Wesen, die dort im Ausserirdischen sind. Überall irdische Welten und dazwischen rein gar nichts, noch nicht einmal Luft, nur Leere, tonnenschwere Leere, eine Ansammlung von Nichts, das trotzdem so schwer ist, dass eventuell die Ausdehnung des Weltalls ins Nichts nicht ewig weitergehen kann.
Das alles haben unsere irdischen Wissenschaftler noch gar nicht bemerkt: dass ein Raum oder eine Zeit mit Beginn und Ende gar nicht denkbar ist, eben so wenig wie ein Raum, der definiert werden kann oder ein Raum, der ausserhalb dieser Definition liegt. Es gibt nur einen Raum, er ist ausserhalb der Definition unseres eigenen Hirns, ein Begriff wie Gott, die Ewigkeit, die Unendlichkeit und das Märchen vom Urknall. So zu denken ist nur einer Spezies erlaubt, die sich allein in den Mittelpunkt allen Geschehens zu stellen weiss und darob vergisst, dass es Räume gibt, in denen zu denken, als Mensch, entweder nicht erlaubt oder nicht möglich ist. Eigentlich beziehen wir deshalb unser ganzes Denken nur auf das eine Ende, des Ende des eigenen kleinen Lebens. In unserer Vorstellung fällt mit unserem eigenen Leben eine ganze Welt zusammen. Und dies ist wahr: Die selbsterschaffene Denkwelt unserer irren Wirklichkeit vergeht uns endlich mit dem eigenen Tod. Doch alle anderen leben weiter. Millionen sterben und die Lebenden merken davon rein gar nichts. Von wegen "die Welt verschwinde mit unserem Bewusstsein". Nichts verschwindet und nichts ist da.
Im Wesentlichen habe ich in "Gedanken in Turin" vorweg genommen, was sie ist, die Unendlichkeit, die Ewigkeit, ein Beginn, der immer auch sein Ende einschliesst: Es ist unsere Aufgabe, sämtliche Leben, Menschen- und Tierleben, selbst zu leben bis in alle Ewigkeit. Kein Tod, keine Geburt, nur ewiges Fortleben in anderen. Jeder sein eigener Henker und Richter, Folterer und Gefolterter, Hitler und Jude, Stalin und Reagan, Priester und Hexe, Herr und Hund, Fressender und Gefressenwerdender, Kalb und Wirt, Mozart und CD-Besitzer, Gott und Mensch. Da habe ich am Schluss des Satzes etwas eingebaut, das zu denken gibt: selbst Gott sein? Welch ein Sakrileg! Doch wer, wer nur ist Gott? Wenn wir alles sein können, dann können wir auch Gott sein. Wer sagt das Gegenteil? Wenn ich sterbe, dann sehe ich mich nach dem Tod als Gott auferstehen, umgeben von meinen vielen Schäfchen und zur Rechten der liebe Christus, wenigstens dann, wenn ich als Christ sterbe. Sterbe ich jedoch als Jude oder Mohammedaner, schnauze ich den lieben Jesus an, was er da zu suchen hätte, er sei im falschen Film und dann merke ich im selben Moment, dass ich mich während eines Menschenlebens von einer Hollywood-Wirklichkeit irrsinnig habe machen lassen und dass mir einfach von anderen, mit ihren primitiven Weltbildern im Kopf, eine der vielen Religionen und Götter aufgeschwatzt worden ist.
Gedanken zum Ende verführen sehr zu reflexivem Denken. Alle Ordnung zerfällt unter der Wucht des menschlichen Denkens, das alle Facetten der Wirklichkeit philosophisch erfassen muss und dabei erkennt der selbstreflektierende Mensch, dass er überall an Denkgrenzen stösst. Das Hirn verwundet seine Gedanken und was am Schluss vor uns liegt, ist ein Friedhof nicht fertiggedachter Gedanken aller Philosophen aller Zeiten. Sie haben ständig ihre Denkgrenzen verletzt und nicht gemerkt, dass sie ins Ausserirdische, nicht mehr Denkbare vorgestossen sind. Und deshalb stehen wir nun vor dem Ende der Menschheit. Wir haben entweder nicht weit genug oder zu weit gedacht. Ich vermute das Letztere. Und damit ist uns die Realität abhanden gekommen. Von vielen denkbaren Welten haben wir aus Zufall eine geschaffen, die uns nun selbst schaffen wird - und keiner will es bemerkt haben. Und was machen wir normalerweise, wenn wir ans Ende kommen? Wir suchen nach Schuldigen und wir finden keine benennbaren Täter. Ist alles Gottes Wille? Ist alles Zufall? Ist die Realität Fiktion oder ist die Fiktion Realität? Haben wir uns mit dem Ende abzufinden, sollten wir uns verbrüdern mit dem Ende oder ist es im Gegenteil als ein grosses Unglück, als Ungerechtigkeit des Schicksals zu betrachten?
Bei aller Wut über die Uneinsichtigkeit der Menschen muss ich zum Thema des Endes aller Enden das Gleiche sagen, das ich zu allen unabwendbaren Dingen sage: Wir müssen es akzeptieren, einfach akzeptieren - und die Realität machen lassen, was ihre Aufgabe ist, unabhängig davon, wie schuldhaft wir selbst am Ende sind. Wie der Beginn des Lebens, ist das Ende des Lebens ein Tatbestand, der nicht Angst und Schrecken verbreiten sollte, sondern ein Gefühl von Geborgensein in der Wiege der Realität, die zu erklären uns stets verweigert wird. Endet schliesslich nicht alles - und hat nicht alles wieder seinen unerklärbaren Neubeginn? Spielen wir also nicht Gott, sondern bleiben wir Mensch und freuen uns an dem, was uns gegeben ist; in unserer Welt der selbstinszenierten Fiktionen, des realen, doch unverstandenen Seins.