Lafargue und der Wolkenkratzer

Der Crash des maroden Wolkenkratzers
oder: Im Pflegeheim mit Paul Lafargue


Es ist das Jahr 2029 und meine Tochter kommt mich besuchen im Pflegeheim für Alte und Debile und freut sich aufrichtig und wohlerzogen, dass es dem Alten doch noch so gut geht.

Man spricht über Alltagsprobleme und einige andere schöne Dinge und schliesslich meint die gute Tochter zum Alten:

"Du siehst wie alles so gut herausgekommen ist... In deiner Literatur hast du 50 Jahre lang behauptet, dass wir vor dem Crash der Weltfinanzen stünden, die Weltindustrie und die Wirtschaft mit China, USA und dem Rest bald zusammenbrechen müssten, alle Nationen und Währungen und Aktien wertlos werden, die Menschheit von den Eliten total verblödet wurde und es kein Entkommen aus einem Umwelt- und Klimakollaps mehr geben würde im 21. Jahrhundert - und dabei geht es dir und uns allen viel besser als je zuvor."

Der Alte windet sich ein wenig - versucht sich an seine Texte und Bücher zu erinnern - und spricht:

"Ich habe nie behauptet, dass ich die Zeitfaktoren im Griff hätte. Ich habe immer geschrieben, dass die fundamentalen Faktoren in all diesen Bereichen niemals falsch sein können. Es ist unmöglich, bei der Vernichtung aller Ressourcen, der Massenexplosion der Weltbevölkerung, der rasenden Schuldenuhren, der Wertlosigkeit von Geld und Wertpapieren als einzige Religion, der allgemeinen Blödheit der 99,99 Prozente auch heute noch - und einer exponentiellen Entwicklung hin zu einem totalen Kollaps der Wettermechanik, diese Fehlentwicklung je aufhalten zu wollen. Es ist ein Ding der absoluten und mathematischen Unmöglichkeit."

"Vater, jetzt werde doch endlich normal. Es ist unanständig, immer die gleichen falschen Behauptungen zu wiederholen."

Der Alte ist etwas verunsichert und staunt ob seiner eigenen Blödheit:

"Liebe Tochter, deine Wohlanständigkeit ist ein Resultat meiner eigenen Anständigkeit, ich habe dich so erzogen. Du bist sehr normal wie alle Menschen und voller Ethik, guter Gefühle, bestem Willen - aber die Welt im Niedergang kannst du niemals aufhalten wollen."

"Dies ist doch Unsinn: Das Pflegeheim wird finanziert, die Welt ist seit 500 Jahren in Ordnung mit viel Fortschritt und Wachstum, die Staaten funktionieren und sogar die "Cloud" im jetzigen totalen Zeitalter der Digitalisierung aller Menschen ist nicht ausser Funktion gekommen, wie du in deiner Literatur immer so blöde behauptet hast und die Börsen zeigen immer noch steigende Werte, sogar in Brasilien und Indien."

Nun wird es dem Alten etwas zuviel und es scheint Zeit für eine Lektion:

"Die ganze Welt ist vergleichbar mit einem gigantischen maroden Wolkenkratzer, der jederzeit in sich zerbersten kann. Damit dies nicht geschieht, und wieder eine Illusion von Kontrolle kommt in den neoliberalen Freien Markt des Geldes, der alles regelt, hat man die Regierungsverwaltung da hineingepfercht. Zudem ist das Haus ohne Wert bis unter das Dach mit Hypotheken vollgestopft und die Gelder in Computern und in Papier liegen in den unteren Stockwerken. Es ist eine Frage der Zeit, und das ganze Gebäude begräbt die gesamte Menschheit unter sich, wie wenn ein TGV voller Menschen in einen Tunnel einbiegt, der nach Friedrich Dürrenmatt ein Biegung nach unten hat in eine ewige Senkrechte, und die Idioten feiern in ihren Salon- und Viehwagen noch wie verrückt in der Innenwelt des Zuges, während draussen schon alles dem Tode entgegenstrebt, weil alle Weltsysteme ohne Ausnahme kaputt sind."

Nun verliert aber die gute Tochter etwas ihre Nerven:

"Mein Gott, was für ein Unsinn. Diese Welt wurde immer wieder totgesagt, schon vor 1900 und dabei gab es eine Entwicklung zu immer mehr Wohlstand, Reichtum, Fortschritt, weniger Armut der Massen und bessere Staatsversorgung und Friede, Freude, Eierkuchen - wo nur ist dein Problem?"


Die Tochter ist nun echt indigniert und ist froh, dass kein Mensch die Dummheit ihres Vaters zur Kenntnis nehmen kann. Sie ist eigentlich gescheit, aber weiss zu keiner Sekunde, dass ihr IQ und ihr Wissen höchstens die Hälfte jenes des Vaters zu dessen besten Zeiten erreicht und sie denkt nur noch, was sie auf dem Heimweg mit ihrem immer kargeren Lohn im Center noch einkaufen möchte. Doch der Alte ist in Fahrt und meint, weitere Weisheiten von sich geben zu sollen:

"Kennst du Paul Lafargue? Dieser Kerl hat die Menschheit und ihre Systeme, den Kapitalismus, die Religionen, das Bürgertum der Reichen, die Mechanismen der Gesellschaft tödlich kritisiert um 1890 herum in seinen Werken - und dann ist nichts geschehen. Nichts geschehen? Es gab zwei Weltkriege, es gab den Wahnsinn der Juden am WEF und AIPAC und die Mont Pelerin Society, es gab den Börsencrash von 1928 und 2008, es gab einige Hyperinflationen, es gab das Deficit Spending in allen Nationen mit einer gigantischen Aufblähung aller Schulden, es gab eine Vervierfachung der Massen von 2 auf 8 Milliarden, die neoliberalen Idioten der Chicago School ermordeten Millionen von Sozialisten in Vietnam, Chile, Argentinien und 50 anderen Staaten, es gab verschiedene Staatsbankrotte, die Anzahl an Menschen im Miserablen stieg um das Vielfache und die Ressourcen wurden umgewandelt in tödlichen Dreck zur Vernichtung des Klimas und der Wettermechanik und die Menschheit wurde verblödet ohne dass dies wegen dieser Verblödung in die Köpfe der Idioten ging und dann wurde alles unternommen, um das marode Gebäude aufrecht zu erhalten, ohne dass eine einzige Schraube an der Fehlkonstruktion dieses Kartenhauses je ausgewechselt worden wäre und jetzt kollabieren alle Megastädte und Infrastrukturen - und was du siehst, gute Tochter, ist ein Bluff von Funktionen, die immer schneller einem totalen Kollaps entgegenstreben, ohne dass auch nur ein einziger Mensch, mal abgesehen von meinen Büchern und jenen von Paul Lafargue, erkennen konnte aufgrund seiner Blödheit, dass eben jetzt dieser Wolkenkratzer am Crashen ist, ziemlich langsam eigentlich - und der Zug ist schon seit 20 Jahren in der Senkrechten, aber leider hat dieser Tunnel keinen Boden und die Verblödeten erkennen im Innern der Waggons ihre fatal gewordene "Condition humaine" nicht."

Nun hat die Tochter genug vom Blödsinn des unbelehrbaren Alten - und trifft Vorbereitungen, sich so höflich wie möglich zu verabschieden:

"Guter Vater: Da ist Hopfen und Malz verloren. Ich gehe jetzt in das bestorganisierte Alltagsleben aller Zeiten und schaue mir am TV an, welche Kriege wieder ausgebrochen sind und welche Naturkatastrophen vermeldet werden und das Eis in der Antarktis geschmolzen ist und eine Dürre über Südasien droht wie noch nie, was ja völlig normal ist und im Moment macht sich auch die Regierung der EU und der USA einige Sorgen wegen dem erfolgten Crash von China, aber leider hast du dich in allen Dingen geirrt und dies tut mir sehr leid, denn damit hast du dir das Leben unnötig schwer gemacht und der Menschheit hast du nie irgendwie einen Nutzen bringen können, aber ich wünsche dir weiterhin gute Gesundheit und komme in einer Woche wieder - und dann reden wir nicht mehr einen solchen Stunk, klar?"

Der Alte strahlt, weil er jetzt wieder seine Bücher und Texte lesen kann, plus jene von Karl Marx, Paul Lafargue und alle philosophische Literatur, die er schon als Jugendlicher in der Leihbibliothek Pestalozzi zu Zürich zu Gemüte führte und dabei erkannte, dass diese Menschenwelt auf dem Wege war - schon um 1960, ihren totalen Sturz im Kartenhaus oder im maroden Wolkenkratzer vorzubereiten und nie bemerken würde, dass diese Beschreibung des Realen ein FAKT war von fundamentaler Tiefe.


Aber damit wird leider die Sache nicht besser und ich schliesse jetzt diesen Essay. Denn versuchen sogar noch blöder zu werden als sie sind, können sie seit vielen Jahre alle, die mir jetzt am Arsch lecken können.

Und die Welt wird weiterdrehen im 21. Jahrhundert wie immer und der Status quo ist eben so, wie er ist, da kann man nichts machen....


René Delavy - Berlin and Bournemouth

written on January 28, 2016