Bis gestern war Boris Vian für mich wie eine Wand. Merkwürdiges Denkmal von Frankreich, ein stilles Gewässer, ich wusste kaum was die Verdienste dieses Denkmals des Geistes sein mochte. Und ich mochte den Kerl genau - wegen meinem Nichtwissen.
Gestern nun konnte ich sein Leben in einer Dokumentation von ARTE bewundern, von der Geburt bis zu seinem frühen Tod und war eigentlich immer noch beeindruckt.
Was mich beeindruckte ist mir selbst nicht klar. Versuchen wir eine Aufzählung:
Was machte sein Leben so wichtig?
1. Es war ein wirklich tragisches Leben, welches tragisch endete und so voller Erlebnisse war, dass man heute noch schier aus den Schuhen kippt.
2. Entgegen der vorgefassten Meinung, war Vian keineswegs erfolgreich, ganz im Gegenteil: Was er immer auch anfasste, missriet ihm gewaltig - die Literatur, das Romanschreiben, die Chansons, eine Karriere in hohen Kreisen, die Familie, das Leben an sich.
3. Er begegnete allem was Rang und Namen hatte von 1940 bis zu seinem Tod - Menuhin, Sartre, Simon de Beauvoir, Marcel Pagnol, Juliette Greco, Brassens, alle wichtigen Filmstars und der gesamte Gilde der Literatur und der Kultur. Dies Alles war kein Wunder, war er doch durch alle Gassen gegangen mit den Schriftstellerei, als Verleger, als Chanson-Schreiber, als Schreiber für Filme, er kannte als Jazz Trompeter natürlich alle Jazz-Grössen von Paris Saint-Germain wie Dizzy Gillespie oder Miles Davis und Django Reinhard, sowie alle Grössen der französischen Philosophie. Es gab wohl keinen Kerl in Frankreich, der mit mehr VIPs persönlichen Kontakt pflegen konnte.
Dies etwa sind die Eckpfeiler seines Lebens neben einer Krankheit des Herzens, die ihm einen frühen Tod garantierte und so sein Bewusstsein sehr tief beeinflusst haben musste.
Was mir auffiel während der Sendung und bei allen Citations aus seinen Büchern, war eine ungemein reiche und komplizierte Ausdrucksweise. Was aber auch auffiel, ist die Realität, dass er damit absolut nichts Anderes ausdrücken mochte als gefühlsmässige Ausbrüche über das Ewig-Menschliche und gewisse Missstände in der Gesellschaft.
Das Grosse Über-Ich der Literatur, welches ich immer erwartete von ihm, ohne ihn näher zu kennen, wie es etwa ausgeht von einem Antoine de Saint-Exupèry oder Albert Camus, war einfach nicht da - und beide bewundere ich heute noch so wie etwa Rousseau, Russell und einige Andere, sodass ich es bis heute nicht fertig brachte, eine Kritik zu schreiben über gewisse Charaktere, denn ich weiss was das Resultat sein müsste...
Da war eben bei Vian das Geraune im Walde, wie es alle Literaturkritiker der heutigen Tage so lieben und vor allem die Jugendlichen, die nur ihren Spass im Leben haben wollen und nicht wissen, also absolut NICHTS von der Lage der Welt in der heutigen Zeit.
Das Gestern
Meine Mutter war sehr auf Frankreich ausgerichtet, als französisch sprechende Frau die kaum je richtig deutsch lernte. Ich erinnere mich, wie sie immer wieder schwärmte von den VIPs der französischen Unterhaltungsszene von 1940 bis 1960, doch sie kannte kaum die Literaturszene, eben mit Ausnahme von Boris Vian, den sie verehrte. Von daher wohl muss ich diesen Kerl auch bewundert haben - immer bewunderte ich vorbehaltlos jene Typen, die mein Vater und meine Mutter auch gut fanden.
Das Leben selbst von Boris Vian ist ein eigentliches Märchen. Doch hierzu braucht es schon ein Gehirn wie das Meinige, um zu sehen, was ich überhaupt meine:
- Es ist absolut unglaublich, was für eine Welt dies war, die rasend schnelle Entwicklung der Menschheit nach dem Zweiten Weltkrieg, in eine total verrückt gewordene Moderne, die uns alle vernichten wird. Die Saat des Wahns, dass alles wichtig sei, alles machbar - ich meine, wirklich ALLES - sofern die Massen und die VIPs dies so sehen mögen. Der TGV der Selbstvernichtung war aufgegleist und die Idioten der Philosophie und der Literatur ertranken förmlich in ihren kranken Banalitäten.
Vor allem dieser Boris Vian versuchte wirklich alles, um zum Erfolg zu kommen: Philosophien, Gedichte, Erzählungen, Romane, Lieder, Filme, Vorträge, Gesprächszirkel - und nichts gelang wirklich. Er schrieb unter unzähligen falschen Namen fantastische Science-Fiction und Kriminalgeschichten. Es verkaufte sich zwar gut, aber der Durchbruch kam erst nach seinem Tod durch eine Faszination der Jugend in die Revolte ohne Sinn und Zweck um 1968. Vor allem sahen die Idioten damals nie das wahre Ausmass der Fehlentwicklungen im Kapitalismus und natürlich auch im Kommunismus.
Es ist doch so, dass dieser Mann noch heute bewundert wird für Dinge, die man ihm anlasten sollte - nämlich die Oberflächlichkeit des Geistes, die doch der Masse schon zu allen Zeiten immer so sehr zupass kommen durfte.
Was war im Übrigen die blöde 1968-Bewegung?
Die Suche nach Freiheit aus Zwängen des Blöden in eine jugendliche Freiheit des noch Blöderen: Freier Sex - freie Kultur - Dadaismus - Wahnsinn der Freude und der Freizeit - frühe Bewegung zur Wellness hin - Literatur des Erlebens von "Freiheit" im Kleinen, statt Literatur der Ergründung des "Seienden", der Welt wie sie war, ist und sein wird. Einfach nur ein blöder Zirkus, auf welchen die Älteren speien weil es anders ist als früher - und die Jungen sich freuen, endlich einen neuen Blödsinn erfunden zu haben.
Die Sprache
Am meisten regt mich die Sprache von Vian auf, weil sie so riesig sich differiert von der meinigen. Wenn ich einfach nicht anders kann als "to the point" zu schreiben, klar, unmissverständlich, eindeutig in der Aussage aber sehr tief im Inhalt, so tief dass die Literaturkritiker nicht in der Lage sind, auch nur ein Wort zu verstehen, versteigt sich ein Vian und die vielen Anderen in Wortgewitter, die irgendwie zu entflechten sind, bevor man sie versteht und beurteilen kann.
Aber wehe, man hat sie entflochten, da bleiben nur Gemeinplätze übrig. Selbst sein Lied "Le déserteur" geht in diese Richtung. Wer nicht schon vorher wusste, dass in den Krieg zu ziehen im Namen einer Idee oder Nation purer Kretinismus ist, wird niemals begreifen, warum er überhaupt lebt.
Es darf nicht sein, dass das Geheimnisvolle der Sprache überdeckt, wenn eine Aussage in die Tiefe der Welt und dessen Geschehens, damit verunmöglicht wird.
Heute ist es doch so, dass nur eine glasklare Sprache, wenn überhaupt, eine Aussage über den Zustand der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft "von Welt" noch zulässt - doch wie mein Beispiel zeigt, genügt nicht einmal die Klarheit und Schnörkellosigkeit dem Zweck, wenn 99,9 Prozent der Menschheit völlig verblödet worden sind vom System und der eigenen Geschichte.
Die Bedeutung
Die wahre Bedeutung von Vian ist wie mit Sartre, Habermas, Sloterdijk, Gluckmann, Levy, Huntington, Fukuyama - kurz der Philosophen und Schreiberlinge der letzten 200 Jahre einfach nicht vorhanden - einmal abgesehen von den ganz Wenigen die wenigstens das kommende Schlammassel der Menschheit andeuten mochten.
Wer Bedeutung nicht damit erledigen will, dass ein Mensch in der Kulturszene oder als Schöpfer einer seltbstvernichtenden Maschinerie seine Dynamitpreise und sein VIP-Bluffertum abholen mochte, sondern die Sache prüft nach dem realen Aussagewert für die Zukunft des Menschen, wird alle einfachen "Genies" wie es ein Boris Vian war, irgendwann in die kleine Kiste tun und den Deckel zuschmeissen.
Nun werden die berühmten 99 Prozent der Blödheit, gerade in der Literatur, sagen, dass dies ein geistiger Kurzschluss sei, da man nicht immer tiefschürfende Gedanken hegen könne ein Leben lang und dies schon gar nicht von der Allgemeinheit zu erwarten sei.
Von "immer und allen" will ich nicht reden, aber von "einmal wenigstens" im Leben.
Wir haben den Zustand der heutigen Welt mit dem totalen Crash in Finanzen, Wirtschaft, Kultur, Philosophien, Politik, Ressourcen, Wasser und Luft und des gesamten Planeten ersaufend in einem ökologischen Kollaps, den keiner sehen kann, genau wegen diesem oberflächlichen "Boris Vian Denken".
Und wie ich heute schrieb in "Greatest Economic CRASH in History" in meiner Gazette:
- "The TGV of self-destruction was not stopped - but still today, the whole of humans are stepping on the Gas and accelerating a death machine into the WALL at the end of the Valley."
René Delavy - Berlin and Bournemouth
written on January 23, 2012