18. Kapitel: Denker des Realen als Sündenböcke
Schlussfolgerung: Man soll diese Theorien vernichten und wegwerfen, denn ich will nicht schuld sein, wenn der Tanker absäuft, nur weil er viel zu lange auf falschem Kurs gefahren ist. Die Retter werden in einer unrettbaren Situation immer zum Sündenbock gemacht. Wir werden das Denken in obigem Sinne wohl kaum noch rechtzeitig ändern können, doch geschrieben haben will ich diese Thesen heute, auch wenn sie vielleicht nie verstanden werden.
Soll man resignieren vor der Tat? Ja, wer sehr intelligent ist, sollte den Mut und die Weitsicht aufbringen, das Resultat seiner Erfindungen und Ideen selbst zu denken. Und so muss ich sagen, dass diese Wirtschaftslehre so ziemlich abstrus und kaum umsetzbar ist. Es ist tatsächlich so, dass alle Wirtschaftstheoretiker der Vergangenheit uns in diesen Engpass des Denkens und Handelns gebracht haben und ein Ausweg, ein Paradigmenwechsel beinahe unmöglich geworden ist. Nun denn: Man soll ja nicht unbedingt dieses Denkmodell des Delavy von heute auf morgen in Kraft setzen. Es genügt, wenn man die Ursachen der kommenden Katastrophen des ökologischen und ökonomischen und kulturellen Zusammenbruchs heute schon erkennt. Das könnte beruhigen. Mehr nicht.
Ich frage den Leser: Hat Sie meine Schreibe überzeugt? Sehen Sie, Sie werden Zeuge Ihrer eigenen Kurzsicht und Konditionierung und glauben deshalb, diese Qualitäten würden ausgerechnet den Autor dieses Buches treffen. Ich bin also ein Opfer, noch bevor irgendein anderer Mensch daran denkt, diese Thesen ernst zu nehmen und zu versuchen, deren Umsetzung auch nur zu denken. Man soll diese Theorien also vernichten und wegwerfen, denn ich will nicht schuld sein, wenn der Tanker absäuft, nur weil er viel zu lange auf falschem Kurs gefahren ist und, ähnlich wie auf uralten Bildern, am Ende der Welt über den Rand der Erde ins Leere fällt.
Wie war das schon wieder in der Geschichte, in der Historie? Wie viele Verkünder der schlechten Nachrichten sind im Laufe der Zeit hingemordet worden? Beinahe alle? Und warum wohl, warum? Weil die Menschen schon immer besonders gescheit waren und Ursachen und Wirkungen immer gut unterscheiden konnten, Wesentlichkeiten von Alltagsblödheit, Logik von Gefühlen, Glauben von Wirklichkeit zu trennen wussten? Du heiliger Bimbam, wer dazu übergeht, dem Durchschnittsmenschen irgendeine Weitsicht, irgendeine höhere Erkenntnis oder kritische Vernunft der höchsten Art zu attestieren, der handelt mit Blechmünzen, so wie wir alle seit dem Kapitalismus mit Blech münzten und nicht erkannten, dass man diese Illusionen am Schluss doch nie wird essen können.
Der Retter wird in einer unrettbaren Situation immer zum Sündenbock gemacht. Wieso eigentlich? Ich denke, es hat damit zu tun, dass man die Welt nicht versteht, dass man vor den Mächtigen Angst hat und vor ihnen kuscht, dass es den Verantwortlichen immer wieder gelingt, die gleichen Fehler zu begehen und dann dem Fussvolk glaubhaft darstellen zu können, dass die Verantwortlichen jene sind, die die Verbrecher an der Menschheit entlarven möchten. Dies ist eine kluge Verteidigungstaktik, die seit Machiavelli Triumphe feiert.
Rousseau, Marx, Descartes, Nietzsche, Schopenhauer, Kant, Habermas, alles Retter aus der Misere des Denkens? Wo denken Sie hin, lieber Leser, diese Herren waren nicht Erlöser, sondern Verursacher, Freunde der mächtigen Macher. Sie dachten wie das System und sie erzeugten Überzeugungen betreffend der Wichtigkeit des Menschen für das System. Sie waren nicht die Vordenker für unsere Zukunft, sondern die Nachdenker nach Gusto der Mächtigen, damit diese ihre Feste der Vernichtung der Armen und Deprivierten abfeiern konnten. Wer von Philosophen, von allen natur- und geisteswissenschaftlichen Hirnen erwartet, dass sie menschlich denken, im Sinne von langfristig ethisch und moralisch, sitzt im Expresszug, der auf die Mauer zustürzt, die mit "Ende der Machbarkeit" beschriftet ist. Deshalb erhielten sie später auch den Dynamitpreis der Selbstzerstörung von den Belobigern des Niedergangs, dem Nobelpreiskomitee.
Die Mächtigen dieser Welt haben es schon immer verstanden, ihre Denker zu instrumentalisieren, die Schöngeister und Kultur-"Schaffenden" dieser Welt für sich einzunehmen. Die Literaten und Schönschreiber des seichten Denkens waren bei den Herrschern schon immer gern gesehene Gäste. Wirklich wichtig war ein Mensch zu Lebzeiten nur, wenn ihn die Reichen und Starken wahrgenommen hatten. So verstanden es die Verantwortlichen für die Kriege und die Miseren auf dieser Welt, ihre Verantwortung als Resultat ihrer eigenen Blödheit auf andere abzuwälzen. Ob dies beim finalen Zusammenbruch der Menschheitssysteme wiederum gelingen kann, weiss ich nicht. Aber ich weiss, dass, wer auch immer solche Bücher schreibt wie ich, nicht gerade in goldenen Verhältnissen lebt, denn er weiss um die Abwehrmechanismen der Mächtigen. Sie werden alles unternehmen, sobald sie den tieferen Wert dieses Buches erkennen, damit niemand vom Virus hohen Denkens infiziert werden kann, die Verbreitung der Ideen gestoppt wird oder gar keinen Anfang nehmen kann. So war es schon immer, doch nicht immer gelang der Trick.
Doch auch wenn dieses Buch eine grosse Verbreitung finden und der Autor berühmt werden könnte, noch bevor die vorausgesagte Rest-Menschheit entstanden sein wird, die übrig bleibt nach allen Kollapsen, ist noch gar nichts gewonnen. Nur die Umsetzung der Wirtschaftslehre vom Paradigmenwechsel allein wird es bringen. Doch bis dann müssten alle Menschen in den Denknormen des Autors denken können, bei allen Unterschiedlichkeiten und Präferenzen ihrer Persönlichkeit. Und dies ist wohl unmöglich. Noch nie in meinem Leben habe ich irgendwem mein Denken erklären können, noch nicht einmal meinen Nächsten. Nur meine Freundin und mein Hund haben Interesse gezeigt, diese Gedanken verstehen zu wollen. Auch die Lektorin Tanja ist nicht ohne: Sie ist ein besonderer Schatz und streicht mir kaum je Passagen weg, sie versteht sofort, welche Texte sie stehen lassen muss und dass ihre Hauptaufgabe in deren Korrektur und leichtem Fluss der Gedanken hinüber zum Leser besteht. Dass sie dann noch aussieht wie Meg Ryan oder Goldie Hawn, macht die Sache noch spannender. Gut, sie ist in guten Händen, verheiratet, hat Kinder, trotzdem ist sie nett anzuschauen. Welcher Autor hat je seine Lektorin so in sein Schreiben und Denken eingeflochten? Ich muss es leider sagen: Ohne solche Menschen wie Rita, Tanja und mein Hund Leon hätte ich es nie geschafft, ich wäre schon längstens unter dem Boden. Bei aller Abstraktion des Denkens gibt es immer wieder Momente, wo ich es dermassen satt habe, diese ganze Blödheit der Menschen, dass ich einfach nicht Zeuge ihres Untergangs werden will.
Und dann schaue ich aus dem Fenster, wie heute Morgen, den 25. Mai 2004, genau 6.30 Uhr. Die Sonne giesst ihr goldenes Licht über den Zürichsee, ich kann es vom Computer aus sehen, im Vordergrund die Haselnussstauden, die eine irre Blätterlinie vor den See hinzaubern und im Hintergrund die Hügel des gegenüberliegenden Ufers, der so genannten Goldküste, wo das Geld, das Kapital, eben wo die Reichen wohnen. Inzwischen wohnt er auch hier, an der linken Silberküste des Sees, dieser Reichtum der Gedankenlosigkeit, ich berate sie sogar gelegentlich, die Herren und Damen, die über Millionen regieren. Ein weiterer Grund, die Nutzlosigkeit des Lebens und des Tuns zu begreifen.
Nur die Philosophie, die Kontemplation hält mich noch am Leben, doch ich werde versuchen, die Lebensqualität zu steigern, gegen das Ende meines Lebens hin. Wie kurz sie doch sind, diese Leben: Ich schaue auf meinen Hund und weiss, dass er in fünf Jahren nicht mehr hier sein wird und es drückt mir die Seele ab. Alles nur ein kleiner Funken in der Ewigkeit und Unendlichkeit des Seins, alles nur Illusion echter Wirklichkeit. In Wahrheit sind wir alle tot, wenn wir nicht in den richtigen Kategorien denken und unser Leben im Rahmen einer globalen Wirklichkeit nicht verstehen. Wir haben keine Chance, das Schicksal der zukünftigen Generationen noch abzuwenden, wenn wir nicht endlich lernen, die Relativität des Seins zu erkennen. Einstein in Ehren, aber seine Relativität des Machbaren im All ist absolut nutzlos, wenn wir von den Mechanismen des Überlebens nichts begreifen wollen. Das wissenschaftlich-technologische Denken scheint uns wichtig, doch in Bezug auf das Aufblitzen von Realität, als welches wir unsere Lebenszeiten eigentlich bezeichnen sollten, sind alle Wissenschafter und Philosophen denkunwürdige Monster gewesen, seit dem alten Griechenland bis auf den heutigen Tag. Die vermeintliche Evolution des Geistes war eine Evolution des geistigen Stillstands.
Was bleibt, ist trotzdem noch die Hoffnung, dass dieses Fehldenken, dass diese Systeme der Selbstvernichtung noch irgendwie zu ändern sind. Wenn nicht, bleibt mir noch die Rest-Menschheit, die dann in etwa hundert Jahren dieses Buch zerfledert und es recht eigentlich auffrisst, durchnässt von den eigenen Tränen der Erkenntnis, dass doch einiges möglich gewesen wäre auf dieser Erdenwelt des Menschen. Ein relatives Paradies wäre planbar und lebbar gewesen, damals, in den Jahren nach 2000. Man hat anders entschieden. Doch jetzt im Jahr 2100 reichen die Krümel, die vom Erdreichtum noch übrig geblieben sind, kaum für ein Überleben der Rest-Menschheit.
Ist dies schlimm? Alles ist relativ. Man kann sich wirklich fragen, ob diese Menschheit je einen Sinn, je eine Existenzberechtigung hatte. Vielleicht nicht. Fragen wir Gott, doch er hat uns noch nie Antworten gegeben. Fragen wir Delavy. Ja, sagt er, das Leben des Einzelnen machte einen Sinn, wenn man unglaubliches Glück hatte. Wer unschuldig an der Folter oder im Krieg jämmerlich verreckt ist, weil Menschen unnötige Gewalt über Menschen, Tiere, Pflanzen, den ganzen Globus brachten, wer also die Kehrseite des Hollywoodglücks, wer die Realität von Fehldenken und Grössenwahn von Einzelnen je am eigenen Leibe erkennen musste, wird wohl einen realistischeren Zugang zur Frage haben, ob die Menschheit je einen Sinn für sich selbst hervorgebracht hat. Und wenn wir die Profiteure des Falschdenkens, wie es zum Beispiel der Kapitalismus bewerkstelligt hat, fragen, dann machen wir nur die Täter wieder einmal zu Opfern.
Wollen wir auf dieser traurigen Note das Buch abschliessen? Wir wollen nicht, aber wir müssen wohl. Doch wer dieses Buch, diese neue Wirtschaftslehre verstanden hat, sieht vielleicht am Horizont noch etwas Morgenröte, kann nochmals hoffen, dass wir doch noch zu besseren Lebensmodellen gelangen werden. Andernfalls werden wir die Welt, die uns allein als Raum des Lebens gegeben war, verlassen müssen, als Spezies wohlverstanden, weil diese Lebensplattform, die Erde, unsere Anwesenheit und unsere Überheblichkeit am Ende nicht mehr verkraften wird.